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Die Erinnerung ist eine scharfe Waffe, die tiefe Wunden reißen kann.
Aus dem Klagelied der Mentaten
Am Tag seines Todes starb Rakis – der Planet, der Dune genannt wurde – mit ihm.
Dune. Für immer verloren!
In den Archivräumen des fliehenden Nicht-Schiffes Ithaka verfolgte der Ghola von Miles Teg die letzten Minuten des Wüstenplaneten. Vom anregenden Getränk zu seiner Linken stieg nach Melange duftender Dampf auf, aber der Dreizehnjährige beachtete ihn nicht und versenkte sich tiefer in die Mentatentrance. Die historischen Aufzeichnungen und Holobilder faszinierten ihn.
Vor sich sah er Ort und Zeit des Todes, der seinen ursprünglichen Körper ereilt hatte. Er sah, wie eine ganze Welt ermordet wurde. Rakis ... vom sagenumwobenen Wüstenplaneten war nur noch eine verkohlte Kugel übrig geblieben.
Die Projektion über dem niedrigen Tisch zeigte Archivbilder von Kriegsschiffen der Geehrten Matres, die sich über der braungelben Kugel des Planeten sammelten. Diese Nicht-Schiffe ließen sich nicht orten – genauso wenig wie das gestohlene Schiff, in dem Teg und die übrigen Flüchtlinge nun lebten – und sie besaßen eine Feuerkraft, die allem überlegen war, was die Bene Gesserit jemals besessen hatten. Im Vergleich dazu waren herkömmliche Atomwaffen nicht mehr als Nadelstiche.
Diese neuen Waffen müssen in der Diaspora entwickelt worden sein. Teg stellte eine Mentatenprojektion an. Menschliche Genialität, geboren aus der Verzweiflung? Oder etwas ganz anderes?
In der schwebenden Bildaufzeichnung eröffneten die schwer bewaffneten Schiffe das Feuer. Mit Vorrichtungen, denen die Bene Gesserit inzwischen den Namen »Auslöscher« gegeben hatten, entfesselten sie gewaltige Feuerstürme. Das Bombardement wurde fortgesetzt, bis es auf dem Planeten kein Leben mehr gab. Die Sanddünen schmolzen zu schwarzem Glas, und selbst Rakis' Atmosphäre fing Feuer. Große Würmer und dicht bevölkerte Städte, Menschen und Sandplankton – alles ausgelöscht. Nichts hätte dort unten überleben können, nicht einmal er selbst.
Jetzt, beinahe vierzehn Jahre später, in einem völlig veränderten Universum, stellte der schlaksige Junge seinen Arbeitsstuhl auf eine bequemere Höhe ein. Erneut betrachte ich die Begleitumstände meines eigenen Todes.
Genau genommen war Teg ein Klon und kein Ghola, den man aus dem Gewebe eines toten Körpers erschuf. Doch die meisten benutzten letzteren Begriff, um ihn zu beschreiben. In seinem jungen Körper lebte ein alter Mann, ein Veteran zahlreicher Kriege der Bene Gesserit. Er konnte sich zwar nicht an die letzten Augenblicke seines Lebens erinnern, aber die Aufzeichnungen ließen wenig Raum für Zweifel.
Die sinnlose Vernichtung des Wüstenplaneten bewies die Skrupellosigkeit der Geehrten Matres. Die Schwesternschaft bezeichnete sie als Huren – mit gutem Grund.
Mit einem leichten Fingerdruck auf die intuitive Steuerung rief er die Bilder noch einmal ab. Es fühlte sich seltsam an, die Ereignisse von außen zu betrachten und zugleich zu wissen, dass er dort unten gewesen war, gekämpft hatte und gestorben war, während man diese Aufzeichnungen angefertigt hatte ...
Teg hörte ein Geräusch vom Eingang der Archivkammer und sah Sheeana, die ihn vom Gang aus beobachtete. Ihr Gesicht war schmal und scharf geschnitten, und ihr rakisches Erbe verlieh ihrer Haut einen gebräunten Ton. In ihrem widerspenstigen, umbrafarbenen Haar leuchteten einzelne Kupfersträhnen, Spuren einer Kindheit unter der Wüstensonne. Ihre Augen waren von jenem völligen Blau, das nicht nur ihren lebenslangen Melangekonsum verriet, sondern auch, dass sie die Gewürzagonie durchlaufen hatte – die Prüfung, die sie zur Ehrwürdigen Mutter gemacht hatte. Von allen, die jemals die Agonie überlebt hatten, war sie die Jüngste gewesen – so hatte man es Teg zumindest erzählt.
Die Andeutung eines Lächelns umspielte Sheeanas volle Lippen. »Studierst du wieder vergangene Schlachten, Miles? Für einen Befehlshaber ist es nicht gut, so vorhersehbar zu sein.«
»Es gibt viele Schlachten zu studieren«, antwortete Teg aus dem Mund eines Jungen, der sich mitten im Stimmbruch befand. »In den dreihundert Standardjahren vor meinem Tod hat der Bashar viel erreicht.«
Als Sheeana erkannte, welche Aufzeichnung sich Teg angesehen hatte, verwandelte sich ihr Gesicht in eine sorgenvolle Maske. Der Junge war geradezu besessen von den Bildern der Vernichtung von Rakis, seit sie in dieses fremdartige, unerforschte Universum aufgebrochen waren.
»Gibt es schon Neuigkeiten von Duncan?«, fragte er, um ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema zu lenken. »Er wollte es mit einem neuen Navigationsalgorithmus versuchen, der uns vielleicht von ...«
»Wir wissen ganz genau, wo wir sind.« Sheeana hob das Kinn in einer unbewussten Bewegung, die sie immer häufiger machte, seit sie Anführerin dieser Flüchtlingsgruppe geworden war. »Mitten im Nirgendwo.«
Automatisch blendete Teg die Kritik an Duncan Idaho aus. Es lag in ihrer Absicht, dass das Schiff unauffindbar war – weder die Geehrten Matres noch die korrupten Bene Gesserit oder der geheimnisvolle Feind durften sie aufspüren. »Zumindest sind wir in Sicherheit.«
Sheeana wirkte nicht überzeugt. »All die unbekannten Faktoren machen mir Sorgen. Wo wir sind, wer uns verfolgt ...« Sie verstummte und fügte dann hinzu: »Ich lasse dich jetzt mit deinen Studien allein. Bald gibt es wieder eine Lagebesprechung.«
Teg merkte auf. »Hat sich etwas Neues ergeben?«
»Nein, Miles. Und ich gehe davon aus, dass man uns immer wieder dieselben Argumente präsentieren wird.« Sie zuckte die Achseln. »Die anderen Schwestern scheinen nicht gewillt zu sein, sich davon abbringen zu lassen.« Ihre Gewänder raschelten leise, als sie die Archivkammer verließ und ihn in der summenden Stille des riesigen, unsichtbaren Schiffes zurückließ.
Zurück nach Rakis. Zurück zu meinem Tod ... und den Ereignissen, die ihn herbeigeführt haben. Teg ließ die Aufzeichnung zurücklaufen, wählte alte Berichte und Kommentare aus, und sah sie sich erneut an, diesmal von einem früheren Zeitpunkt aus.
Jetzt, da seine Erinnerungen geweckt waren, wusste er wieder, was er vor seinem Tod getan hatte. Er brauchte die Aufzeichnungen nicht, um sich ins Bewusstsein zu rufen, wie der alte Bashar auf Rakis in die Zwickmühle geraten war, wie er das Unglück regelrecht herausgefordert hatte. Damals, auf Gammu, einem Planeten, der unter dem Namen Giedi Primus einst Heimat des bösen, längst ausgelöschten Hauses Harkonnen gewesen war, hatten er und seine loyalsten Männer – Veteranen zahlreicher siegreicher Kriege – ein Nicht-Schiff gestohlen. Bereits Jahre zuvor hatte man Teg eingesetzt, um den jungen Ghola von Duncan Idaho zu beschützen, nachdem zuvor elf von Duncans Gholas ermordet worden waren. Dem alten Bashar gelang es, den zwölften am Leben zu erhalten, bis er erwachsen war. Anschließend stellte er sein Gedächtnis wieder her und half ihm, von Gammu zu entkommen. Als Murbella, eine Geehrte Mater, versuchte, Duncan sexuell zu versklaven, überlistete er sie mithilfe verborgener Fähigkeiten, die ihm seine Tleilaxu-Schöpfer eingepflanzt hatten. Es stellte sich heraus, dass Duncan eine lebende Waffe war, erschaffen, um die Pläne der Geehrten Matres zu durchkreuzen. Kein Wunder, dass die wutentbrannten Huren so versessen darauf waren, ihn zu finden und zu töten.
Nachdem er Hunderte Geehrte Matres und deren Gefolgsleute getötet hatte, versteckte sich der alte Bashar bei Männern, die geschworen hatten, ihn mit ihrem Leben zu beschützen. Seit Paul Muad'dib, vielleicht sogar seit den Zeiten von Butlers fanatischem Djihad, hatte kein großer Heerführer die Herzen der Menschen so an sich gebunden. Zwischen Speisen, Getränken und dem Schwelgen in alten Erinnerungen hatte der Bashar erklärt, dass er ein Nicht-Schiff brauchte. Obwohl der Diebstahl eines solchen Schiffes als Ding der Unmöglichkeit erscheinen musste, stellten die Veteranen seinen Befehl nicht infrage.
In den Tiefen des Archivs suchte der junge Miles nun nach Überwachungsaufzeichnungen von Gammus Raumhafensicherheit, Bildern, die von großen Gebäuden der Gildenbank in der Stadt aus gemacht worden waren. Jeder Schritt des Angriffsplans erschien ihm absolut sinnvoll, selbst, als er die Aufzeichnungen nun, viele Jahre später, studierte. Es war der einzig mögliche Weg zum Erfolg, und wir haben es geschafft ...
Teg und seine Männer waren nach Rakis geflogen, wo sie die Ehrwürdige Mutter Odrade und Sheeana vorfanden, die auf einem großen alten Wurm zum vereinbarten Treffpunkt in der Wüste geritten waren. Die Zeit war knapp gewesen. Die auf Rache sinnenden Geehrten Matres waren schon auf dem Weg, und sie schäumten vor Wut, nachdem der Bashar sie auf Gammu zum Narren gehalten hatte. Auf Rakis hatten Miles und seine überlebenden Männer das Nicht-Schiff mit Panzerfahrzeugen und zusätzlicher Bewaffnung verlassen. Die Zeit für die letzte Schlacht war gekommen.
Bevor der Bashar seine treuen Soldaten ins Freie führte, um den Huren entgegenzutreten, kratzte Odrade ihm wie zufällig über die ledrige Nackenhaut, um ihm auf diese Weise, nicht gerade unauffällig, Zellproben zu entnehmen. Teg verstand ebenso gut wie die Ehrwürdige Mutter, dass es sich um die letzte Gelegenheit handelte, der Schwesternschaft einen der größten militärischen Denker seit der Diaspora zu erhalten. Ihnen war klar, dass er sterben würde. Die letzte Schlacht des Miles Teg.
Während der Bashar und seine Männer den Geehrten Matres auf dem Schlachtfeld gegenübertraten, übernahmen weitere Gruppen der Huren im Handstreich die dichter bevölkerten Gebiete von Rakis. Sie schlachteten die Bene Gesserit ab, die in Keen zurückgeblieben waren. Sie töteten die Tleilaxu-Meister und die Priesterschaft des Zerlegten Gottes.
Die Schlacht war bereits verloren, aber Teg und seine Truppen warfen sich den feindlichen Stellungen mit ungekannter Gewalt entgegen. Weil der Größenwahn der Geehrten Matres ihnen nicht gestattete, eine solche Demütigung einfach hinzunehmen, führten sie einen Vergeltungsschlag gegen den gesamten Planeten, der alles vernichtete. Einschließlich Miles Teg selbst.
In der Zwischenzeit hatten die alten Kämpfer des Bashars mit ihrem Ablenkungsmanöver dafür gesorgt, dass das Nicht-Schiff entkommen konnte. An Bord waren Odrade, der Ghola von Duncan und Sheeana gewesen, die den uralten Sandwurm in den großen Frachtraum des Schiffes gelockt hatte. Nur kurze Zeit, nachdem das Nicht-Schiff in Sicherheit war, wurde Rakis vernichtet – und der Wurm wurde zum letzten seiner Art.
Das war Tegs erstes Leben gewesen. Und damit endeten auch seine echten Erinnerungen.
* * *
Als Miles Teg nun die Bilder des vernichtenden Bombenhagels betrachtete, fragte er sich, wann sein ursprünglicher Körper wohl ausgelöscht worden war. War das wirklich von Bedeutung? Jetzt, wo er wieder am Leben war, hatte er eine zweite Chance erhalten.
Mithilfe der Zellen, die Odrade ihm entnommen hatte, züchtete die Schwesternschaft eine Kopie ihres Bashars und erweckte seine genetischen Erinnerungen. Die Bene Gesserit wussten, dass sie sein taktisches Genie im Krieg mit den Geehrten Matres brauchen würden. Und tatsächlich hatte der junge Teg die Schwesternschaft auf Gammu und Junction zum Sieg geführt. Er hatte alles getan, worum sie ihn gebeten hatten.
Später hatten er und Duncan zusammen mit Sheeana und ihren Abtrünnigen noch einmal das Nicht-Schiff gestohlen und waren von Ordensburg geflohen, weil sie nicht mehr mit ansehen konnten, wozu Murbella die Bene Gesserit verkommen ließ.
Die Flüchtlinge wussten am besten, was es mit dem geheimnisvollen Feind auf sich hatte, der sie unablässig jagte, ganz gleich, wie weit sich das Nicht-Schiff von den bekannten Regionen entfernte.
Erschöpft vom Ansturm der Ereignisse und den ans Licht gezerrten Erinnerungen schaltete Teg die Aufzeichnung ab, streckte die dünnen Arme und verließ den Archivbereich. Er würde mehrere Stunden mit schonungsloser körperlicher Ertüchtigung verbringen, und dann würde er sich seinen Waffenübungen zuwenden.
Obwohl er im Körper eines Dreizehnjährigen lebte, musste er auf alles vorbereitet sein. Er durfte niemals in seiner Wachsamkeit nachlassen.